Auf der Suche nach dem originalen Hackney – in Argentinien

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Artikel von Andres Furger für „Pferd und Wagen“

Stand vom 14. 12. 2011

"Pferd & Wagen" Februar 2012.

Das um 1900 als Wagenpferd hoch geschätzte Hackney-Pferd wird in Argentinien als Turnier- und Gebrauchspferd in kleinen Privatgestüten bis heute rein gezüchtet. Er ist dort nicht, wie in Europa, zum Showpferd geworden und wird an Fahrturnieren und auch im Marathon erfolgreich eingesetzt.

Fahrenthusiasten, die nicht nur historische Kutschen pflegen, sondern auch alte Rassen von Wagenpferden als (lebendiges) Kulturgut verstehen, sind ständig auf der Suche nach guten Wagenpferden vom alten Typ. Auch der Schreibende stellte sich die Frage: Wo wird eigentlich die alte Hackney-Rasse heute noch rein weiter gezüchtet? Im Ursprungsland England findet man den alten Typ kaum noch, der eine mittelschwere Kutsche ausdauernd ziehen kann. Dort fand in den letzten Jahrzehnten eher eine Umzüchtung zum leichten Show-Typ statt. Deshalb assoziiert man heute mit dem Wort Hackney vor allem Show-Ponys mit hoher Knieaktion aus der Vorderhand. Das ist aber nur ein Teil der Gegenwart der Geschichte.

Abb. 1 Englischer Hackney-Hengst vom Typ „Roadster“. Aquarell des Jahres 1885 von Leslie Mosley.

Kurze Geschichte des Hackney

Fast vergessen ist, dass das Hackney-Pferd einst ein beliebtes Kutschpferd mittlerer Größe gewesen war. Seine beste Zeit hatte der englischstämmige Hackney in der Zeit um 1900 als elegantes Luxuswagenpferd mit stupenden Gängen. Diese kommen vor allem im Trab zur Geltung, man sprach vom Stepper oder High Stepper. Der Hackney galt in der goldenen Zeit des Kutschenfahrens als das feinste Wagenpferd überhaupt; ein gutes Zweigespann kostete das Mehrfache eines neuen Wagens.

Abb. 2 Philadelphia Horse Show 1906: Hackney-Einhorn-Gespann vor einem Body Break.

Die Geschichte der Hackneys geht zurück auf den Yorkshire-Roadster und den Norfolk-Trotter, ursprünglich (vor der Zeit der Eisenbahnen) ein vor allem zum Reisen im Sattel geeignetes, ausdauerndes Pferd mit angenehmem und schnellem Trab. In England entstand aus diesem raumgreifenden Traber im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, als sich das Fahren mit Luxuswagen ausbreitete, ein leichtes Wagenpferd mit vollendeter Beinaktion. Hackney-Hengste wurden auch zur Verbesserung deutscher Züchtungen eingesetzt, etwa um die Aktion der Oldenburger, Hannoveraner, Holsteiner sowie der französischen Anglo-Normänner zu verbessern. Auf alten Bildern zur Zeit Achenbachs sehen wir oft solch herrliche Pferde vor Coupés, Phaëtons und anderen Luxuskutschen.

Abb. 3 Berlin um 1900: Coupé mit Oldenburger. Dessen Beinaktion spricht für die Einkreuzung von Hackney-Blut.

Nach dem Aufkommen des Automobils ging es indessen schnell bergab mit der verbreiteten Zucht von Hackneys. Man sah sie nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch vereinzelt. Durch das bekannte Phänomen des genetischen Rückfalls gingen bei vielen zum Fahren eingesetzten Pferderassen die alten guten Gänge verloren. Dazu hatte nicht nur das spektakuläre Anheben der Vorderbeine gehört, sondern auch der entsprechende Schub aus der Hinterhand mit dem entsprechenden Untertreten.

Wie kam der Hackney nach Argentinien?

Das riesige Agrarland Argentinien wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer reichen Nation. Zu den Spitzen der dortigen Gesellschaft gehörten vermögende und kosmopolitisch orientierte Großgrundbesitzer. Diese kannten das Leben der High Society in London und Paris aus eigener Anschauung. Denn reiche Argentinier verbrachten, wie vermögenden Nordamerikaner auch, längere Zeit in diesen Städten und passten in der Folge zu Hause ihren persönlichen Lebensstil entsprechend an. So kam es, dass in London und Paris bei den besten Adressen nicht nur Kutschen und Geschirre geordert und exportiert wurden, sondern auch die entsprechenden Pferde. Dazu gehörten schon vor 1900 wunderbare Hackneys aus England. Mit diesen Stuten und Hengsten wurde in Argentinien sofort weiter gezüchtet. 1909 wurde das Stutbuch des argentinischen Hackneys eröffnet. Diese Rasse trat 1910, zur Hundertjahrfeier des Landes, in den Vordergrund der dort verwendeten Wagenpferde. Hackneys standen auch im Marstall des argentinischen Präsidenten als Galapferde. Noch im Jahre 1967 hat sich der argentinische Präsident mit einem Viergespann Hackneys auf einem Sportanlass in Buenos Aires vorfahren lassen!

Abb. 4 -a Hackney einst und jetzt: in England 1912/13 preisgekrönter argentinischer Hengst „Gay Boy“ und die vierjährigen Wallache „

Abb. 4 -b Reliance Bimbo“ und „Reliance Silbon“. Heutige argentinische Züchtungen kommen nahe an den Typ der Zeit um 1900 heran.

Der argentinische Fahrenthusiast Martinéz de Hoz

Die nach Amerika verpflanzte Fahrkultur strahlte bald auf Europa zurück. Denn reiche Amerikaner kamen mit ihren eigenen Pferden im Sommer jeweils für einige Wochen nach England und Frankreich, um hier den Fahrsport auszuüben. Ja, diese waren sogar mitverantwortlich für das Coaching-Revival um 1900. Der bekannteste Name in diesem Zusammenhang ist der Nordamerikaner Alfred G. Vanderbilt. Er hatte einen heute etwas weniger bekannten Gleichgesinnten aus Südamerika namens Miguel Alfredo Martinéz de Hoz aus Argentinien. Wörtlich steht im Londoner „Daily Express“ vom 20. 4. 1908:

„Mr. Hoz lässt eine Coach von London nach Guildford fahren, er macht seine erste Fahrt heute. Seine Gespanne bestehen vor allem aus Reinblütern (pure-bred), Hackneys von seiner eigenen Farm in Argentinien. Mr. Hoz lässt die Coach zu seinem eigenen Vergnügen fahren … Er will damit auch zeigen, dass starke und gut gezogene Wagenpferde in Argentinien gezüchtet werden können.“

Die Fahrten mit der Road-Coach „Reliance“ von Martinéz de Hoz waren so erfolgreich, dass er, wie Vanderbilt auch, in den vornehmen Coaching Club Londons als Member aufgenommen wurde und fortan bei den Meetings im Hyde Park seine Hackneys zeigen konnte. Und die Geschichte ging weiter: Als 1909 der weltweit erste Marathon mit Gespannen ausgetragen wurde, war Senor de Hoz wieder dabei; er wurde im neuen Olympia-Stadion als Zweiter nach Vanderbilt ausgerufen. In der Folge konnte er einige Show-Preise mit seinen Pferden in England gewinnen.

Abb. 5 Martinéz de Hoz 1909 mit seinem Hackney-Viererzug.

Der Argentinier war 1909 mit sage und schreibe 45 selbst gezogenen Hackneys und einigen weiteren Dutzend Pferden per Schiff nach England gekommen. Die Hackneys waren Pferde vom Typ des „Roadster“, damals ein Synonym für das „Hackney Coach Horse“. In jener Zeit gab es in Argentinien bereits mehr als 1000 Hengste und Zuchtstuten der alten Hackney-Rasse. Auf dieser Basis wird bis heute rein weiter gezüchtet. Allerdings ist heute die Population der Hackneys vom alten Typ auf etwa ein Zehntel zusammengeschrumpft. Der Engländer Clive Richardson sagte 1995 in seinem Buch  „The Hackney“:

„ … the Argentinians’ interest in the Hackney was not  for the showring but fort the road, with the effect that there was never any danger of a show type developing.“ Also: Die Argentinier züchteten Hackneys als Gebrauchs-, nicht als Show-Pferd und kamen deshalb nicht in Versuchung, die Züchtung in Richtung eines reinen Präsentationspferdes zu verändern.

Der Fahrenthusiast Raul Aqueretta und seine Hackneys

An diese erfolgreiche Vergangenheit des Hackneys knüpfen bis heute in privatem Rahmen pferdebegeisterte und patriotisch gesinnte Persönlichkeiten in Argentinien an. Dazu gehört der in Buenos Aires aufgewachsene 54-jährige Agronom Raul Aquereta. Er hat nach dem Tode seiner Eltern die 500 km südlich der Hauptstadt im Hügelland gelegene, grosse Farm La Querencia übernommen und bezeichnet sich selbst als „driving-enthousiast“. Zielbewusst baut er seit 1980, neben dem Haupterwerb, dem Ackerbau, die Zucht von Hackneys auf. Sein Ziel ist die Zucht von Fahrpferden, wie sie die Coach „Reliance“ von Martinéz de Hoz vor hundert Jahren gezogen haben. Diese setzt er im Viererzug und Zweigspann selbst bei FEI-Turnieren, dem „combined driving“, ein. Die Pferde seiner Zucht tragen stets den Namen der Coach „Reliance“ in ihrem Namen.

Abb. 6 Stutenherde mit Gaucho

Auf die Farm von Raul Aquereta kamen immer wieder europäische Hackney-Kenner, wie der kürzlich verstorbene Tom Ryder. Die Zuchtgrundlage besteht dort heute aus vier Hengsten und über 33 Zuchtstuten. Deren Grösse variiert zwischen 152 bis 165 cm, es sind vor allem Füchse und Braune mit vielen Abzeichen. Das ausgeglichene Klima und die riesigen Weiden begünstigen die Zucht höchster Qualität; davon profitieren auch Vollblutzüchter in jener Gegend. Hin und wieder verkauft Raul Aquereta junge Pferde, teilweise auch schon in die USA, nach Belgien und vor allem nach Chile. Dort wächst im Moment eine neue Fahrszene heran.

Die Ausbildung der Jungpferde erfolgt auf der Farm La Querencia in genau festgelegten Schritten und nach dem Vorbild der deutschen Fahrlehrerin Aqueretas, Heike Bean. Diese hat in ihrem Buch „Carriage Driving – A logical approach through dressage training“ ihre Grundsätze (Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geradrichten und Versammlung) ausführlich publiziert. Die Aktion der Hackneys kommt vor allem im versammelten und gleichzeitig verstärkten Trab zur Geltung. Dafür wird in mehrjähriger Arbeit, mit der Doppellonge und am Wagen mit dem Fahren von Volten (20 m) gearbeitet. Konsequent wird damit die entsprechende Bemuskelung aufgebaut, so dass das Jungpferd mit etwa sechs Jahren mindestens 50% seines Gewichts auf die Hinterhand legen, also gut untertreten und den entsprechenden Schub von hinten entwickeln kann.

Abb. 7-a Weide mit Wallachen

Abb. 7-b Der Agronom und Hackney-Züchter Raul Aquereta auf seiner Farm in Argentinien.

Abb. 7-c Zweijähriger Hackney in natürlicher Aktion auf der Farm La Querencia.

Die Vorführung der Jungpferde erfolgt in einem speziellen Paddock, wobei ein Gaucho zu Pferd jeweils das gewünschte Pferd gekonnt aus der Herde in der Einzäunung heraus treibt. Dann dreht der Hackney seine Runden und zeigt seine Gänge in der natürlichen Veranlagung.

Abb. 8 Kutschensammlung Raul Aquereta: Barouche um 1825 mit Federmarkierung „Wilson & Varty“ Liverpool.

Auf der Farm La Querencia steht auch eine hübsche Kutschensammlung, darunter einige einheimische Modelle. Dazu gehören grosse Omnibusse, die in Argentinien deshalb so hoch gebaut wurden, weil im weiten Land immer wieder Flüsse – infolge fehlender Brücken – durch Furten durchquert werden mussten. Das Prunkstück der Sammlung ist eine englische Barouche der Zeit um 1825 mit Markierung der Federn von Wilson & Varty aus Liverpool, eine wohl früh nach Argentinien aus England importierter, schwerer Wagen. Dieser wird demnächst vom Besitzer mit vier Hackneys zur Hochzeit seiner ältesten Tochter selbst gefahren werden.

Abb. 9 Hackney-Zweigspann mit Raul Aquereta und seinem Groom in traditioneller nationaler Kleidung bei einer Dressur-Vorführung.

Hackneys im Einsatz an der argentinischen Fahrmeisterschaft

Prüfstein der argentinischen Züchtungen sind FEI-Fahrprüfungen, wobei konsequent drei Klassen unterschieden werden: Anfänger, mittlere und obere Stufe. Das gilt vor allem für die Pferde. Junge Pferde müssen zunächst 5 Turniere ohne Marathon und kürzere Strecken in der Dressur und beim Kegelfahren absolvieren, bevor sie das vollständige Fahrprogramm absolvieren.

Der Schreibende hatte, begleitet von Thomas Würgler, das Glück, Mitte November 2011 nahe Buenos Aires mit einem siebenjährigen Hackney-Wallach an der argentinischen Meisterschaft in der tiefsten Klasse teilnehmen zu können.

Abb. 10 Argentinische Meisterschaft 2011 in Pilar: Sechsjähriger Hackney-Wallach im Kegel-Parcours mit Andres Furger und Thomas Würgler auf dem Wagen.

Alles war in Pilar, dem weltweit erfolgreichsten Ausbildungszentrum für Polo-Pferde, auf höchstem Niveau organisiert. Als Präsident und Parcoursbauer zeichnete der frühere Spitzenfahrer Christian Jseli verantwortlich. Im Vorfeld zeigten Kinder ihre ersten Fahrkünste und Traditionsfahrer ihre Gespanne, stets in malerischer einheimischer Kleidung, der über halblangen Stiefeln getragnenen „bombacha“, einer Pluderhose, und mit Sombrero oder grossem Barett auf dem Kopf (boina/chambergo).

Abb. 11 Der argentinische Zweispänner-Meister des Jahres 2011, Raul Aquereta, beim Kegelfahren in Pilar.

Am Start waren gut dreißig Gespanne, neben Ein- und Zweispännern auch Tandems, Vierspänner und sogar ein Random. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderem die argentinisch-deutschen Doppelbürger Amely und Wolf von Buchholtz. Auch Fahrer aus Brasilien und Chile machten mit. Gegen die Hälfte der eingesetzten Pferde bestanden aus Hackneys, aber auch einheimische Criollos und einige hochbeinige Araber waren am Wagen zu sehen.

Bei den Zweispännern siegte Raul Aquereta mit einem jungen Pferd im neuen Gespann. Der Höhepunkt des Turniers war neben einer eindrücklichen gemeinsamen katholischen Messe auf dem Turnierplatz die Verkündung des Siegers bei den Einspännern. Nationaler Meister wurde der Gastgeber Mariano Paz. Obwohl er seit einem schweren Unfall im Rollstuhl sitzt, fährt er mit einem Hackney aus Aquerretas Zucht das ganze Programm samt Marathon gekonnt mit, die Leinen an den Handgelenken seiner steifen Hände festgebunden!

Abb. 12 Der argentinische Einspänner-Meister des Jahres 2011, Mariano Paz. Der nach einem schweren Umfall teilweise gelähmte Argentinier fährt mit um die Handgelenken geschlungenen Leinen durch den Kegelparcours.

Andres Furger

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